„Wer sich nicht an eine Impfpflicht hält, darf nicht mit einer Geldstrafe davonkommen“, so lautete die Überschrift eines Kommentars im Handelsblatt, denn: “Sich nicht impfen zu lassen ist mehr als das, nämlich ein Angriff auf die Freiheit all jener, die trotz Corona ihren Alltag zurückhaben wollen. So sollte es auch geahndet werden.”
Interessante Ansicht. Warum kommt mir nur unwillkürlich der Begriff „Stockholm-Syndrom“ in den Sinn? Und welch wunderbarer Charaktertest diese Pandemie doch ist, oder? Manche Kräfte sollte man besser nicht entfesseln, nicht nur, weil sie dann nur noch schwer zu zügeln sind, sondern auch, weil sie ein Gesicht entlarven, das Deutsche nie mehr zeigen wollten.
Ein paar Tage später die Einschätzung des Pandemiemanagements mit Blick von außen auf Deutschland. Eine Freundin, international renommierte Ärztin, kam von ihrem Familientreffen aus Los Angeles zurück. Ende Dezember als Geimpfte losgeflogen, kehrte sie Mitte Januar als plötzlich Ungeimpfte zurück. Restaurants und Geschäfte darf sie nicht besuchen. Arbeiten darf sie, schließlich soll sie Steuern bezahlen. Eigentlich fand sie, der Hamburger Senat schulde ihr eine Ehrenurkunde angesichts des Umfangs, in welchem sie das Gemeinwesen unterstützt. An keinem anderen Ort der Welt, an dem sie bisher tätig war, behielt sie so wenig von ihrem hart erarbeiteten Geld übrig. Aber als „Ungeimpfte“ wird sie nun von Leuten angepöbelt, die nicht annähernd die medizinischen Zusammenhänge beurteilen können?
„Have they all gone nuts?“, fragt sie mich. In Kalifornien konnte sie sich völlig frei bewegen, niemanden interessierte der Impfstatus. Wenn sie freiwillig im Gedränge die Maske aufsetzte, dann bedankten sich die Menschen für ihre Rücksichtnahme. Angesichts des weithin milden Verlaufs der Omikron-Variante bei gleichzeitiger Unmöglichkeit, die Verbreitung zu stoppen, hatte sie erwartet, dass die Regeln auch bei uns gelockert würden. Dass sie stattdessen verschärft wurden, fand sie „unbelievable“, „incomprehensible“, „over the top“, nannte es „mass hysteria“– ihre Sprachnachricht war lang, empört und drückte mit allen denkbaren Varianten ihr Unverständnis aus. An ihrer Stimme konnte man hören, dass sie effektiv nicht verstand, was hier los ist. Der krasse Unterschied zwischen dem Umgang mit der Pandemie in Kalifornien und Hamburg könnte nicht größer sein.
»Deutschland ist ein Geisterfahrer«
Nun könnte sie sich natürlich impfen lassen, noch einmal und noch einmal und so weiter. Aber sie erklärte mir ganz vorsichtig – schließlich weiß man in Deutschland nie, ob man als kritischer Geist nicht diffamiert wird –, dass sie Bedenken habe. Sie hätte die Fachliteratur intensiv studiert, wisse auch, dass das Immunsystem noch nicht vollständig verstanden sei. Selbst eine häufige und kurzfristige Gabe von „old fashioned“ Impfstoffen würde sie kritisch sehen, weil man nicht genau wisse, was diese mit dem Immunsystem anstellen würden. Und das nun bei neuartigen Impfstoffen, deren Wirkungen gerade bei wiederholter Gabe völlig unerforscht sind? Ihre Skepsis war unüberhörbar.
Und: Wo ist das Problem mit einer Infektion, die in aller Regel mild verläuft und bei der es auch für die schweren Verläufe neuerdings ein hochwirksames Mittel gibt, so dass die Betroffenen kaum noch auf die Intensivstationen müssen?
Die Erfahrung mit dieser neuen Behandlung hatte sie über Weihnachten gemacht. Ihre Eltern erkrankten nämlich am Coronavirus. Bei ihrer Mutter war nur der Test positiv, ansonsten hatte sie nichts, ihren Vater jedoch erwischte es hart.
Innerhalb weniger Stunden verfiel er zusehends, seine Sauerstoffsättigung fiel rapide ab, er war „delusional“. Ihre gesamte Familie besteht aus Ärzten, ihr Vater ist Medizinprofessor, daher konnten sie den Zustand fachlich beurteilen und waren höchst alarmiert. Sie brachten ihn noch am Nachmittag ins Krankenhaus in der festen Überzeugung, er käme auf die Intensivstation. Das Weihnachtsfest war verhagelt. Drei Stunden später erhielten sie einen Anruf aus dem Krankenhaus, sie könnten ihn wieder abholen. Überrascht folgten sie der Aufforderung, ihr Vater stand auf eigenen Beinen, geschwächt aber munter und bei klarem Bewusstsein vor ihnen. Zwei Tage später zeigten die Tests an, dass er nicht mehr infiziert war. Ein Weihnachtswunder, es war „a kind of magic“.
Worin bestand diese Magie? Sie erkundigte sich im Krankenhaus, dort informierte man sie, dass schwer an Corona erkrankte Patienten in eine Art Infusionszelt gebracht würden, wegen der Ansteckungsgefahr abgeschirmt. Dort erhielten sie eine Infusion mit Antikörpern, meist reiche dafür eine Krankenschwester aus. Die Patienten müssten meistens nicht einmal auf eine Normalstation, geschweige denn auf die Intensivstation. Bei ihrem Vater war es genauso abgelaufen, einen Arzt sah er im Krankenhaus nicht einmal. Diese Antikörper-Therapie wird bereits seit einiger Zeit angewandt. Nach einer vor gut vier Wochen veröffentlichten Studie des „New England Journal of Medicine“, welche die hohe Wirksamkeit dieser Behandlung speziell bei vulnerablen und besonders gefährdeten Personen belegt, wird diese Methode standardmäßig angewandt. Wie gut sie wirkt, hatte sie ja nun selbst erlebt.
Da Omikron im Allgemeinen mild verläuft, es für die gefährdeten Patienten zudem ein gutes Mittel gibt, ist völlig klar, dass es nicht den geringsten Anlass für Einschränkungen des Lebens oder gar eine Impfpflicht gibt. Und zwar für gar keine Personengruppe…
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